Von Clelia Minnetian, Frederik Metje, Janosik Herder & Verena Häseler
Panel 5: Heterogenität des Politischen
Das fünfte Panel befasst sich mit dem Thema der Heterogenität des Politischen. Jeanette Ehrmann beschäftigt sich mit der Haitianischen Revolution mit dem Ziel einer Dekolonisierung des Politischen. Im zweiten Vortrag präsentieren Sebastian Huhnholz und Karsten Fischer ihre Überlegungen zum Politischen und der Orestie. Abschließend geht Alexander Weiß auf den Begriff des Politischen bei Wang Hui und Chantal Mouffe ein und präsentiert ein schematisches Modell mit dem Ergebnis, dass sowohl der Maoismus als auch der Liberalismus entpolitisierend wirken, da beide zu schwindender Resonanz und Kontingenz führen.
Vortrag: Martin Nonhoff: Radikale Demokratie oder Populismus? Spielarten des Politischen in der Hegemonietheorie
Martin Nonhoff fokussiert in seinem Vortrag die Unterscheidung zwischen radikaler Demokratie und Populismus, wobei er sich gegen die Verwendung des Populismusbegriffes für neue emanzipative politische Projekte ausspricht, wie dies etwa durch Chantal Mouffe vertreten wird. Denn – so seine These – besteht zwischen dem Populismus und der radikalen Demokratie zwar eine gewisse Ähnlichkeit, allerdings zeigen sich bedeutende Unterschiede in Bezug auf das Herrschaftsverständnis. Radikaldemokratische Perspektiven beruhen prinzipiell auf dem demokratischen Versprechen, dass wir uns als Freie und Gleiche selbst regieren und funktionieren über die Skandalisierung von Herrschaft. Gleichzeitig akzeptieren sie, dass es sich dabei um ein unerfüllbares Versprechen handelt, da wir immer durch Institutionen regiert werden und Demokratien somit stets als Oligarchien organisiert sind – wenn auch eingehegt durch Wahlen und Rechtsstaatlichkeit. Bei seiner Betrachtung populistischer Projekte wie jenem der AfD oder des Front National stellt Nonhoff heraus, dass auch diese auf die Volksherrschaft verweisen und Herrschaftskritik üben. Allerdings unterscheiden sie sich deutlich in ihrem Herrschaftsverständnis: So zielen sie zwar darauf, die Herrschaft zu erringen, um dann allerdings keine weitere Kritik zuzulassen. So fordert etwa die AfD die Aufhebung der Oligarchie der „Altparteien“, wobei sich gleichzeitig ausschweifende Herrschaftsfantasien in ihrem Parteiprogramm finden lassen, in dem sie beschreiben, wen sie wie regieren wollen. Damit unterscheiden sie sich deutlich von radikaldemokratischen Projekten, die Herrschaftskritik als Modus anerkennen.
Fazit zur Tagung
Die Tagung war dem Thema entsprechend eine politische. Wir wollen abschließend dieses Politische der Politischen Theorie in zweierlei Hinsicht reflektieren. Und zwar erstens in Hinsicht auf die „interne“ Rolle des Begriffes des Politischen in der Politischen Theorie und zweitens in der Hinsicht der politischen Praxis der Politischen Theorie. Die Tagung war vielleicht gerade deshalb so interessant, weil sie die – zwar in der gesamten Politikwissenschaft angelegte, aber in der Politischen Theorie besonders zentrale – Spannung artikulierte, die zwischen der Wissenschaft und ihrem Gegenstand besteht: Was heißt es, sich Gedanken über die Politik zu machen; und kann oder sollte dieses Nachdenken selbst politisch sein?
Erstaunlich war erstens die Umstrittenheit des Begriffes des Politischen selbst. Zweifellos gibt es innerhalb der Theorien des Politischen große Differenzen zwischen den konkreten Definitionen: Es werden vehemente Auseinandersetzungen zwischen theoretischen Traditionen und ihren spezifischen Vorstellungen darüber geführt, was das Politische auszeichnet. Allerdings gibt es hier, wie Oliver Flügel-Martinsen bereits in der tagungseröffnenden Einleitung andeutete, auch unübersehbare Gemeinsamkeiten. Bei aller Streitbarkeit könne man sich also doch auf ein Konzept des Politischen im Groben einigen. Umso mehr verblüffte die interessante und im Kontrast dazu stehende Podiumsdiskussion das Publikum. Alle drei Referent*innen lehnten den Begriff des Politischen offen ab. Der Begriff würde – so der allgemeine Tenor – die Disziplin zu Grundsatzfragen zurückführen, die keine wirkliche Relevanz besäßen. Das Politische – so wie es etwa radikaldemokratische Arbeiten zum Gegenstand hätten – hatten einige bereits als historisch überwunden geglaubt.
Spannend ist daran nun nicht, dass es offensichtlich verschiedene theoretische Lager innerhalb der Politischen Theorie gibt – also solche, die den Begriff des Politischen für sinnvoll erachten, und solche, die dies nicht tun. Vielmehr zeigt sich sowohl in Bezug auf die Theorien des Politischen als auch anhand der Argumentation gegen diese der politische Charakter der Politischen Theorie. So ist den Theorien des Politischen meist bewusst ein politischer Impetus eingeschrieben. Doch auch auf Seiten der Kontrahenten beziehen sich die ex- oder zumindest impliziten Argumente zur Ablehnung des Konzeptes auf seine Unbrauchbarkeit in der politischen Praxis selbst. Anders gesagt ging es noch in der Ablehnung des Konzeptes darum, die Politische Theorie als politische Theorie zu verteidigen, wozu jedoch andere Begriffsstrategien als sinnvoller angesehen werden. Passend hierzu wurde stellenweise der Gegensatz zwischen der empirischen, szientistischen Politikwissenschaft und der Politischen Theorie bemüht. Man könnte sagen, dass die Debatte um das Konzept des Politischen selbst zu einer Politisierung oder eher einer Offenlegung der politischen Rolle der Politischen Theorie geführt hat, die längst überfällig war und zu einer grundsätzlichen Debatte in der deutschen Politikwissenschaft werden muss.
Hier schließt dann die Frage zur Praxis der Politischen Theorie an, die – Marxisten wissen dies natürlich seit Längerem – doch immer schon politisch ist? Und auch abseits des symbolischen Aktionismus muss sich die Politische Theorie als akademische Disziplin ihrer politischen Rolle bewusst sein – das gilt sowohl in Bezug auf die Öffentlichkeit als auch für die Lehre. Doch was ist die Konsequenz daraus? Keinesfalls sollte die Politische Theorie nun ihren politischen Charakter selbstbeweihräuchern; allerdings muss sie diesen auch nicht verstecken, sondern sich (wieder) bewusst werden, dass in ihren Theorien und Begriffen immer auch ein bestimmter Zugriff auf die politische Welt eingelassen ist, es Politiken sind, mit denen sie operiert. Die Politische Theorie ist damit nicht lediglich ein Definitionslieferant für die empirische Wissenschaft, sondern sollte sich als eine Disziplin verstehen, die die Spannung, die der Politikwissenschaft und der Sozialwissenschaft allgemein per definitionem eingebaut ist, am produktivsten artikulieren kann.