„Die Genealogie ist grau.“ So beginnt Foucault (2009: 181) seine Ausarbeitungen über Nietzsche, die Genealogie, die Historie. Bezugnehmend auf Nietzsches Ausführungen über die Genealogie der Moral legt er die Hauptmerkmale der Methode der Genealogie dar. Es ist eine historische Methode, die sich gegen die klassische Historik wendet – die metaphysische, überhistorische Momente wie die Suche nach einem Ursprung, dem Wesen einer Sache oder einer abgeschlossenen Identität ablehnt. Dass die Genealogie dabei selbst keinen absoluten Standpunkt einnehmen kann, ist eine stringente Weiterführung, die anerkennt, dass sie selbst ein perspektivisches Wissen ist (vgl. Foucault 2009: 196-197).Statt nach Einheit sucht die Genealogie nach Diskontinuität und berücksichtigt die Einzigartigkeit von Ereignissen, die vom Zufall geprägt sind. So „kennt die wirkliche Historie nur ein einziges Reich, in dem es weder Vorsehung noch Endursache gibt, sondern nur ‚jene eisernen Hände der Notwendigkeit, welche den Würfelbecher des Zufalls schütteln‘“ (Foucault 2009: 195). Offene Textrunde (I) – Michel Foucault: Nietzsche, die Genealogie, die Historie weiterlesen
Kategorie: Allgemein
Klassiker: Günter Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt
Unter Politikwissenschaftlern ist es vielleicht kein Geheimtipp mehr, aber sehenswert ist das nach Günter Gaus „beste Gespräch, das ich je geführt habe“, immer noch.
Im Zentrum des biographischen Gesprächs stehen Gegenwartsfragen des politischen Denkens und Handelns. Einleitend wird das Spannungsfeld von Philosophie und politischer Theorie erörtert. Ein weiterer Aspekt sind Geschlechterrollen, die Lebensgeschichte von Arendt sowie insbesondere der Prozess gegen Adolf Eichmann. Das Buch von Hannah Arendt („Eichmann in Jerusalem“) war im Herbst 1964 in der Bundesrepublik und 1963 in den USA erschienen. Das Gespräch wurde erstmals am 28.10.1964 in der berühmten Reihe „Zur Person“ gesendet.
Iring Fetscher ist tot
Der renommierte Marxismusforscher und das langjährige Mitglied der Grundwertekommission der SPD Iring Fetscher ist am 19. Juli im Alter von 92 Jahren gestorben. Laut SZ war er „einer der ersten, der es wagte, gegen den antikommunistischen Konsens die Marxsche Lehre überhaupt vorzustellen.“ Die Dokumentensammlung „Der Marxismus: seine Geschichte in Dokumenten“ (1962-65) ist eines der ersten Zeugnisse dieses Wagnis’. Er promovierte über Hegel aus linkshegelianischer Perspektive und widmete seine Habilschrift dem Staatsverständnis von Jean-Jacques Rousseau. 1963 wurde Fetscher an die Universität Frankfurt berufen und verstand sich fortan als intervenierender Hochschullehrer, der zu tagesaktuellen Fragen wie Mitbestimmung, Terrorismus, die Grenzen des Wachstums und Ökologie Stellung nahm.
Auswahl seiner Publikationen:
- „Von Marx zur Sowjetideologie“ (1956)
- „Rousseaus politische Philosophie: zur Geschichte des demokratischen Freiheitsbegriffs“ (zuerst 1960, überarb. 1975)
- „Marxisten gegen Antisemitismus“ (1974)
- zus. mit Herfried Münkler: „Pipers Handbuch der politischen Ideen“ (5 Bd., 1985-1993)
- „Ökologie und Demokratischer Sozialismus“, in: Helga Grebing (Hrsg.): Sozialismus in Europa: Bilanz und Perspektiven. Festschrift für Willy Brandt (1989), S. 216-224.
- „Neugier und Furcht. Versuch, mein Leben zu verstehen“ (1995 – Autobiographie)
- „Marx“ (1999 – eine kurze Einführung in den Marxismus)
Nachrufe auf den Seiten der SZ, Frankfurter Rundschau und FAZ.
Lesekreis – offene Textrunde
Der Lesekreis geht in eine neue Runde!
Die frischen Überlegungen aus Kasselfornia werden nun in die Tat umgesetzt. Der neue Lesekreis liest kein ganzes Buch, sondern begiebt sich an die lang und mühevoll aufgebauten Textstapel, die jeder einsam für sich angesammelt hat. Monatlich stellt eine Person einen Text zur Diskussion – ob Klassiker oder gerade passend zur Seminar- oder Abschlussarbeit. Die Textwahl wird frühzeitig bekannt gegeben: mitlesen und mitdiskutieren darf jeder. Neu soll die Diskussion durch einen Zweitkommentator/-in angeregt werden mit der angestrebten Tendenz zu kürzeren dafür zahlreicheren Kommentaren.
Der Lesekreis startet am 31. Juli mit einem Text von Michel Foucault ‚Nietzsche, die Genealogie, die Historie‘ und wird an den Terminen 28. August, 25. September, 23. Oktober und 20. November fortgestetzt.
Auf regen Austausch und neue Erkenntnisse!
Brunkhorst: Dr. Jekyll & Mr. Hyde als Figuren Europas
Die Wahlen zum Europäischen Parlament sind geschehen und das Tauziehen um die Ausgestaltung der Europäischen Union (und ihrer politischen Ämter) geht in eine nächste Runde. Der glühende Kritiker der technokratischen EU und emphatische Verteidiger der europäischen Ideale Hauke Brunkhorst (Uni Flensburg) hat pünktlich zur Wahl ein Buch im Suhrkamp vorgelegt. Im „Das doppelte Gesicht Europas. Zwischen Kapitalismus und Demokratie“ bezeichnet er Europa als den (dialektischen) Widerspruch zwischen dem emanzipatorisch-kritischen Dr. Jekyll und dem technokratisch-funktionalistischen Mr. Hyde und plädiert schließlich für eine „Transnationalisierung des demokratischen Klassenkampfes“ (Brunkhorst 2014: 160). Brunkhorst: Dr. Jekyll & Mr. Hyde als Figuren Europas weiterlesen