Von Stefan Wallaschek und Janosik Herder
Demokratietheorie ist das Thema der Politischen Theorie in Deutschland. Jedenfalls kann man zu dem Schluss kommen, wenn man sich die Tagungen der Sektion Politische Theorie und Ideengeschichte der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) seit 2010 anschaut. Vier der Tagungen waren, wie auch die kommende Tagung in Trier im März 2017i, schon im Titel explizit der Demokratie gewidmet. Auch der größere DVPW-Kongress „Die Versprechen der Demokratie!“ 2012 stand ganz im Zeichen der Demokratietheorie und die Politische Theorie war prominent mit Vorträgen und Panels vertreten.ii Aber auch wenn man auf die Wortwolke unseres AG-Blogs schaut, scheint Demokratietheorie eines der wichtigsten Themen der Politischen Theorie zu sein.iii Aber muss das sein? Oder anders gefragt: Ist das ein Problem?
Offensichtlich leben wir in der westlichen Welt in demokratischen Systemen mit bestimmten Eigenschaften. Und glaubt man der Selbstbeschreibung der allermeisten Regierungen auf der Welt, dann gibt es eigentlich nurmehr Demokratien. ‚Wir sind jetzt alle Demokraten‘ hat Wendy Brown einmal geschrieben, während Hubertus Buchstein und Dirk Jörke festhalten: „Die Demokratie findet in modernen Demokratien zwar viele interne Kritiker, aber keine grundsätzlichen Gegner mehr“.iv Sucht man aber nach Definitionen von Politischer Theorie, findet man keine Fokussierung auf Demokratie, sondern auf Politik. Politik und Demokratie sind jedoch nicht zwei Worte für die gleiche Sache. Demokratie ist ein tradiertes institutionelles Arrangement von Politik, das zweifellos untersucht werden muss. Aber es ist die Politik, mit der sich die Politische Theorie auseinandersetzen sollte, und eben die Frage, was Politik eigentlich ist, ist selbst schon umstritten. Politik kann demokratisch sein, sie kann in der Demokratie ‚gebändigt‘ werden, aber man macht es sich vielleicht zu einfach, wenn man sich auf eine institutionelle Form von Politik einschießt.
Indem sich die Politische Theorie auf das Ideal der liberalen und westlichen Demokratie beschränkt, vergibt sie sich viel Potential, die veränderten politischen Verhältnisse global in einem breiteren Licht zu sehen. Wie verändert sich Politik jenseits Westeuropas und Nordamerikas? Oder auch: Wie verändert sich Politik in unseren westlichen Ländern, wenn man das, was dort passiert, nicht durch die Brille der Demokratietheorie betrachtet? Welche veränderten Machtverhältnisse finden wir in unseren Alltag? Welche informellen politischen Praktiken stützen das System, das wir Demokratie nennen? Müssen wir gar unsere Vorstellung von Demokratie, wie wir sie von Montesquieu, Rousseau, Schumpeter oder Habermas gelernt haben, überdenken, um unsere Gegenwart richtig verstehen zu können?
Es ist zu einfach, demokratietheoretischen Fragen die Relevanz abzusprechen. Und es wäre falsch. Es gibt zahllose Ereignisse mit Bezug auf den Gegenstand Demokratie, die nicht nur empirische Antworten erfordern, sondern auch Politische Theorie brauchen. Aber es bedarf einer stärkeren Sensibilisierung für die Exklusionsmechanismen, die mit dem Begriff der Demokratie einhergehen. Demokratie heißt: Politisches System, Staat, Regierung, Öffentlichkeit, heißt auf diffuse Weise auch ‚wir‘ im Westen. All diese Dinge müssen diskutiert werden, aber wo sind die Politischen Theorien für die anderen zentralen Entwicklungen auf unserem Planeten? Wo ist die Politische Theorie der Städte, wo ist die Politische Theorie der Ökologie, wo ist die Politische Theorie der Geschlechterfragen, wo ist die Politische Theorie des Postkolonialismus, des Internets, des Konsums?
Natürlich wird an all diesen Fragen gearbeitet, natürlich gibt es zum Beispiel eine feministische Politische Theorie und auch andere Ansätze werden erforscht und gelehrt. Die Frage ist jedoch, was die Hegemonie des Demokratiebegriffs bedeutet. Wen oder was (re)präsentiert der Begriff der Demokratie und welche Formen und Ansätze Politischer Theorie werden dadurch marginalisiert? Demokratietheorie ist kein Problem an sich – ihre Fragen sind zweifellos relevant – es ist der Platz, den sie einnimmt. Der Raum für wissenschaftliche Diskussion ist nicht riesig, der für die politikwissenschaftliche ist nochmal schmaler und der der Politischen Theorie ist eine 3-Zimmer Wohnung, in der gegenwärtig scheinbar zwei Zimmer von der Demokratietheorie belegt werden. Wenn es jedoch erscheint als wäre Politische Theorie vor allem Demokratietheorie, dann werden bestimmte Fragen nicht mehr gestellt, weil sie vermeintlich nicht relevant – oder schlimmer: nicht bekannt sind. Das wirkt sich auch auf die Studierenden aus, die durch Seminare und Vorlesungen mit der obligatorischen Demokratietheorie in Berührung kommen und das im schlimmsten Fall für die Politische Theorie halten.
Vielleicht muss man, um diese diskursive Gemengelage aufzubrechen, den Begriff der Demokratie selbst fraglich werden lassen. Hubertus Buchstein und Dirk Jörke sprechen in dem oben zitierten und viel beachteten Text vom „Unbehagen an der Demokratietheorie“. Darin zeigen sie, dass Rationalitäts- und Institutionenverständnisse die demokratietheretische Debatte prägen. Ihr Lösungsvorschlag ist schließlich, die Debatte vom Institutionenbegriff zum Handlungsbegriff zu verschieben und damit eine gewisse Dynamik in die Demokratietheorie zu bringen. Man kann das als Versuch verstehen, das Unbehagen an der Demokratietheorie demokratietheoretisch zu lösen.v
Ist nicht genau diese Lösung das Problem? Sollte es anstatt einer Diskussion innerhalb der Demokratietheorie nicht vielmehr um eine Debatte der Demokratie geben? Sollte nicht die Politische Theorie selbst dazu beitragen, die diskursive Hegemonie der Demokratietheorie aufzubrechen und zu demonstrieren, dass Politik vielfältiger und unbestimmter ist als die Demokratietheorie suggeriert? Die Demokratietheorie lässt sich aber nur dann in Frage stellen, wenn wir uns trauen, den Begriff der Demokratie von seinem Podest zu stürzen und als einen Begriff der Politischen Theorie neben anderen zu betrachten. Vor einiger Zeit hat die AG das von Suhrkamp herausgegebenen Debattenbändchen über den Begriff der Demokratie in einem Lesekreis besprochen. In dem Bändchen fragt Wendy Brown, in dem oben bereits erwähnten Text, „ob und warum wir immer noch an die Demokratie glauben, ob sie eine lebensfähige Regierungsform für das 21. Jahrhundert ist und ob es vielleicht andere, nicht völlig abschreckende Möglichkeiten gibt, die besser geeignet sind, die Finsternis aufzuhalten.“vi
ii siehe http://www.dvpw.de/gliederung/sektionen/politische-theorien-und-ideengeschichte/sektionstagungen.html; http://www.dvpw.de/kongresse/dvpw-kongresse/dvpw2012.html .
iii Wenn man noch dazu einen kursorischen Blick auf die Lehrveranstaltungen in Politische Theorie an den Unis in Deutschland wirft, unterstreicht dies nochmal die starke Präsenz. Seminare zu Demokratietheorie finden sich regelmäßiger in den Lehrplänen als andere Seminarthemen.
iv Brown, Wendy (2012): Wir sind jetzt alle Demokraten, in: Demokratie? Eine Debatte. Berlin: Suhrkamp; Buchstein, Hubertus/Jörke, Dirk (2003): Das Unbehagen an der Demokratietheorie. In: Leviathan, 31 (4), 473.
v Buchstein, Hubertus/Jörke, Dirk (2003): Das Unbehagen an der Demokratietheorie. In: Leviathan, 31 (4), 470-495. In ähnlicher Weise könnte man den völlig anders gelagerten Versuch verstehen den Demokratiebegriff emanzipatorisch aufzuladen, etwa jüngst bei Hardt, Michael/Negri, Antonio (2013): Demokratie! Wofür wir kämpfen. Frankfurt am Main: Campus.
vi Brown, Wendy (2012): Wir sind jetzt alle Demokraten, in: Demokratie? Eine Debatte. Berlin: Suhrkamp, 71.
(Bild: Filippo Minelli)
Also erst mal vielen Dank für diesen interessanten und begrüßenswerten Debattenbeitrag, der ja auch in gewisser Weise an die Diskussion auf Twitter anschließt. Grundsätzlich sehe ich das aufgeworfene Problem allerdings ambivalent.
Zum einen muss man klar sagen, dass der demokratietheoretische Zugang natürlich nur einen möglichen Zugang zur Politik darstellt und ich es absolut notwendig finde, diese bei Sektionstagungen stärker zu egalisieren (man könnte auch sagen, die Themenverteilung demokratischer zu gestalten). Nicht nur aufgrund der Exklusionsmechanismen sondern auch aus wissenschaftlicher Neugier und einer gewissen konservativen Beharrungstendenz, die mit einer Verstetigung eines Themenbereichs einhergeht.
Ob allerdings die politische Theorie ein Demokratietheorieproblem hat, davon bin ich nicht überzeugt.
So muss man sagen, dass die Behauptung, Demokratie sei „ein tradiertes institutionelles Arrangement von Politik, das zweifellos untersucht werden muss“, unannehmbar reduktionistisch ist. In der Argumentation mag sich das gut einfügen, es zeigt jedoch auch einen sehr begrenzten Blick auf die Entwicklung der zeitgenössischen Demokratietheorie. Da reicht bereits der Blick in die (allgemeine) politische Philosophie, exemplarisch am Begriff des „Politischen“. Hier wird sowohl von linksheideggerianisch-französischer Seite als auch aus amerikanischer Sicht (Sheldon Wolin und die zitierte Wendy Brown) gerade die Auseinandersetzung gesucht. Die französischen Radikaldemokraten, die ja ebenfalls in dem genannten blauen Demokratie-Büchlein zu Wort kommen, haben stellenweise einen derart ontologisch-formalistischen Begriff der Demokratie, das man sich fragen kann, ob das noch Demokratietheorie ist.
Aber auch die Frage „Müssen wir gar unsere Vorstellung von Demokratie, wie wir sie von Montesquieu, Rousseau, Schumpeter oder Habermas gelernt haben, überdenken, um unsere Gegenwart richtig verstehen zu können?“ zeichnet ein Bild der Demokratietheorie, das leicht idealtypisch und etwas verstaubt scheint. Zudem irritiert diese Frage in Bezug zum Aufhänger, der Sektionstagung in Trier. Diese beschäftigt sich je gerade mit der Frage nach dem Formwandel der Demokratie.
Es bleibt also, ein Unbehagen zu konstatieren, das aber weniger theoretisch begründet ist.
Wenn wir argumentieren, dass Demokratietheorie zu dominant ist, muss sich der Fokus auf die personelle Besetzung an Lehrstühlen einerseits und die vorherrschende Meinung bei den Mitgliederversammlungen der Sektionstagungen andererseits richten. Die Demokratietheorie belegt ja nicht zwei von drei Zimmern, weil sie objektiv wichtiger ist, sondern die Verteilung bei Tagungen ergibt sich als institutionelles Outcome. Das theoretische Verhältnis von Demokratie und Politik können wir rauf und runter diskutieren, die zentrale Frage streifen wir damit ja nur am Rande: Wie erklärt sich diese Themenbeschränkung auf Sektionstagungen und was müsste man ändern, um dies aufzubrechen? Politikwissenschaft als Demokratiewissenschaft als „Bürde“ der Nachkriegszeit spielt hier ebenso eine Rolle wie die schulen- und traditionenbildende Kraft des deutschen Ordinariensystems. Ich finde, dass man den Fokus eher auf diese Strukturen legen sollte, will man das demokratietheoretische Problem der Politischen Philosophie im Rahmen der Fachvereinigung kritisieren.
Danke für den guten Kommentar, stimme dir größtenteils zu. Es gibt zahllose gute und sehr kritische Diskussionen des Demokratiebegriffs, weshalb unser Beitrag auch eher als polemischer Hinweis auf diese Diskussionen verstanden werden muss. Wir tun zur Zuspitzung quasi so, als gäbe es die von dir genannten Ansätze nicht, was natürlich nicht stimmt aber hilft, unseren Punkt deutlich zu machen.
Mit der Reduzierung des Demokratiebegriffs hast du vollkommen recht! Die Überlegung dabei war einfach zur Diskussion zu stellen, ob man die Veränderungen, die man mit dem ‚Formwandel der Demokratie‘ verstehen will, überhaupt demokratietheoretisch framen sollte. Mein Verdacht wäre ja, dass man an manchen Entwicklungen etwa den neuen Protestformen seit 2011 und dem Erfolg autoritärer Figuren in der Politik systematisch vorbei diskutiert, wenn man den Begriff der Demokratie dabei ins Zentrum rückt. Daher ist die Reduzierung der Demokratievorstellung eher strategisch um zu zeigen, dass man Demokratie nicht notwendig immer zusammendenken muss mit Öffentlichkeit, Partizipation und den normativen Konnotationen des demokratischen Ideals. Wenn man Demokratie wirklich nur als institutionelles Arrangement versteht (Gewaltenteilung, Parlament etc.) was passiert dann?
Also grundsätzlich ist mir schon klar, was Polemik ist, aber danke für die Erläuterung 😀
Zum Framing: Wie mit jedem Zugang gehen damit Nachteile einher, da hast du völlig recht. Man könnte die exemplarischen Phänomene wie Protestformen auch anders rahmen oder auch explorativ in den Fokus rücken. In der Tat diskutiert man so in irgendeiner Weise an dem Wesen der Phänomene vorbei, wie du zu recht sagst auch systematisch. Aber doch aus dem Grund, dass diese Phänomene und ihr Wesen auch gar nicht im Zentrum stehen sollen. Im Zentrum steht die Diskussion des Teilbereiches in Deutschland im Lichte oder in Auseinandersetzung mit diesen neuen Entwicklungen. Und da die Politische Theorie maßgeblich demokratietheoretisch fundiert ist, kommt dieses Framing zustande. Das Ziel scheint hier stärker die Reflexion des hegemonialen Diskurses zu sein, wenn man es mal positiv formulieren möchte, und nicht der analytische Erkenntnisgewinn. Man kann diesem Ansatz zugutehalten, dass man damit im besten Fall eine Öffnung des dominanten (und stellenweise vielleicht als konservativ wahrgenommenen) Demokratie-Diskurses in der deutschen Politischen Theorie erreichen kann, indem man diese Veränderungen als Bruchstellen, oder mit Lefort vielleicht eher „Breschen“, figuriert.
Will sagen, man darf die Themensetzung im Falle der Sektionstagungen nicht losgelöst von ihrem institutionellen Kontext betrachten. Erkenntnisgewinn steht hier nicht im Fokus und damit geht eure Fragestellung, so spannend und diskussionsfreudig ich ihr gegenüberstehe, ein wenig am eigentlichen und von euch ja auch benannten Problem vorbei. Die Substitution von Politik durch Demokratie ist ja kein philosophisches, sondern ein institutionelles.
Hallo,
danke für die Rückmeldung und die Kommentare.
Ich stimme dem institutionellen bias in PT ebenso zu wie der historischen Entwicklung des Faches in (West-)Deutschland. Jedoch könnte man zum ersteren Punkt einwenden, dass wohl kaum eine/r der ProfessorInnen auf Lehrstühlen für Demokratietheorie sitzt, sondern wohl auf eher ‚Politische Theorie und Ideengeschichte‘ (oder ähnliche Abwandlungen). Das heißt, die institutionelle Vorgabe ist nicht Demokratietheorie per se.
In deinem letzten Kommentar, Sebastian, leuchtet mir folgende Passage nicht ganz ein: „Aber doch aus dem Grund, dass diese Phänomene und ihr Wesen auch gar nicht im Zentrum stehen sollen. Im Zentrum steht die Diskussion des Teilbereiches in Deutschland im Lichte oder in Auseinandersetzung mit diesen neuen Entwicklungen.“
Die Tagung ist doch „Formwandel der Demokratie“ und nicht „Politische Theorie in Deutschland und neue Entwicklungen in der Demokratietheorie“ oder?! Ebenso hieß die 2012er Tagung „Die Versprechen der Demokratie“ und nicht „neuere Formen der Demokratie und PT in Deutschland“. Indem halt neuere Protesformen sofort durch die „Demokratiettheoriebrille“ betrachtet und nicht erstmal offen analysiert und theoretisiert werden, schränkt das, aus meiner Sicht, den Blick ein. Es werden theoretische Ideen und Argumente entwickelt, die an die Protestformen demokratische Standards anlegen, was durchaus problematischs ein kann. Weiter sagst du dann: „Und da die Politische Theorie maßgeblich demokratietheoretisch fundiert ist, kommt dieses Framing zustande.“ Stimmt, aber hier würde ich einwenden: ’nichts muss so sein, nur weil es immer so war‘ (Autor unbekannt). Das „Versprechen der Politik“ (2012) oder „Politik und Gerechtigkeit in Verteilungskonflikten“ (2012) hätten diesem dominanten framing etwas entgegensetzen können und nichtsdestrotrotz hätte man sich mit demokratietheoretischen Fragen auseinandersetzen können 😉
So, zugeneigt wie ich strukturellen Argumenten bin, finde ich den letzten Absatz von dir doch zu einfach und bzgl. des ‚Erkenntnisgewinns‘ auch problematisch:
„Will sagen, man darf die Themensetzung im Falle der Sektionstagungen nicht losgelöst von ihrem institutionellen Kontext betrachten. Erkenntnisgewinn steht hier nicht im Fokus und damit geht eure Fragestellung, so spannend und diskussionsfreudig ich ihr gegenüberstehe, ein wenig am eigentlichen und von euch ja auch benannten Problem vorbei. Die Substitution von Politik durch Demokratie ist ja kein philosophisches, sondern ein institutionelles.“
Warum steht den der Erkenntnisgewinn nicht im Fokus (mehr)? Oder was meinst du hier genau?
Nur, um das nochmal explizit zu machen: Der Beitrag war kein Bashing der Trierer-Tagung!! Wenn WissenschaftlerInnen in Trier an Demokratietheorie interessiert sind, würde das keiner von uns beiden kritisieren. Es wird sicherlich eine demokratietheoretisch interessante Veranstaltung.
Nach den zahlreichen Tagungen zu Demokratietheorie in den letzten Jahren (plus Dutzenden von Artikel zum Themen) und der jüngsten Sektions-VA in Darmstadt zu Kapitalismus und Demokratie, kam bei mir jedoch etwas Unbehagen auf. Der Call aus Trier war dann gewissermaßen nur der letzte Anlass, um dieses Unbehagen in Worte zu übersetzen. Und die grundlegende und überspitzt formulierte Frage war dann also, ist Politische Theorie nur noch Demokratietheorie?
Natürlich begegnen wir anderen Ansätzen in Texten, besuchen Konferenzen mit anderen Themenstellungen oder diskutieren mit KollegInnen über etwas völlig anderes. Trotzdem stellt sich die Frage, warum sind so viele an diesen Theorien interessiert und was könnten Gründe für diese Dominanz in der Sektion, in der allg. Wahrnehmung und auch unter Studierenden sein (siehe ebenso diesen Blog)?
Unser Beitrag war dazu ein erster kleiner Aufschlag und gerne kann dem ein zweiter eher historisch-institutioneller Blogbeitrag folgen 🙂
Hey,
Um mich vielleicht auch nochmal etwas klarer und hoffentlich verständlicher zu positionieren: ich stimme deinem Argument, dass es sich um Lehrstühle für Politische Theorie und Demokratietheorie handelt, vollkommen zu und sehe das Problem dahinter in jedem Fall (gerade auch, da ich ja selber mit einer quasi-hegemonialen Stellung der Demokratietheorie in Trier konfrontiert war). Und das Anlegen einer Demokratie-Schablone an unterschiedlichste Phänomene ist hermeneutisch problematisch, ohne Frage. Und ja, man hätte sich auch unter einem anderen Thema mit demokratietheoretischen Fragen auseinandersetzen können. Kurzum: ich teile eure Kritik 🙂 Ich würde allerdings, und darum ging es mir zentral, die Stoßrichtung der Kritik verschieben.
Die beiden Passagen, welche etwas unklar geblieben zu sein scheinen, beziehen sich genau darauf. Die Sektionstagung der DVPW ist keine x-beliebige akademische Tagung, kein DFG-Projektworkshop, sondern die Tagung einer berufsständischen Vereinigung. Und das institutionelle Setting ist in der Themenwahl entsprechend wirkmächtig. Ich würde vermuten, hier werden institutionelle Wünsche und Vorlieben befriedigt, es geht um Verteilungskonflikte, die sich auch in der Themenausrichtung niederschlagen. Denn wenn du dem demokratietheoretischen Bias der PT in der BRD zustimmst, ist Demokratietheorie eben sehr wohl (informelle) institutionelle Vorgabe!
Du schreibst: „Das ‚Versprechen der Politik‘ (2012) oder ‚Politik und Gerechtigkeit in Verteilungskonflikten“'(2012) hätten diesem dominanten framing etwas entgegensetzen können „. Das ist genau mein Punkt! Die Themenwahl ergibt sich eben NICHT (in erster Linie) aus dem Interesse, neue Erkenntnisse zu generieren. Sondern hier sollen die Arbeiten des Berufsstandes reflektiert werden und das ganze zudem unter thematischem Fokus des ausrichtenden Institutes.
Euer Input-Essay hat wunderschön die Beziehung zwischen Politischer Theorie und Demokratietheorie aus philosophischer Perspektive eruiert. Mein Einwand war jedoch, dass ihr ein Problem sichtbar macht, aber eure Vorgehensweise am Kern des Problems vorbei geht. Die Frage ist nicht, was ich aus demokratietheoretischer Sicht einfangen kann und was nicht. Die Frage müsste lauten: warum gibt es eine demokratietheoretische Sichtweise (obwohl es analytisch nicht so sinnvoll sein mag)?Denn ich würde behaupten, die meisten DVPW-Mitglieder würden eurem Argument zustimmen. Aber so lange wir die Fragestellung nicht anders ausrichten, bleibt es eine Elfenbeinturm-Debatte (allerdings eine spannende). Denn ich sehe ebenfalls wie der unbekannte Autor, dass es nicht so bleiben muss (oder sollte), wie es war. Was es aber wiederum notwendig macht, sich stärker mit den Ursachen auseinanderzusetzen.
Zusammengefasst will ich sagen: aufgrund des institutionellen Backgrounds ist nicht der akademische Erkenntnisgewinn, sondern die institutionelle Machtverteilung ausschlaggebend für das Thema. Und damit sollte die Fragestellung eine andere sein.
Ich selber (und wahrscheinlich auch sonst kaum jemand) habe euren Essay übrigens auch nicht als Bashing in irgendeiner Art und Weise verstanden. 🙂 Ich sehe wie gesagt das aufgeworfene Problem und teile dein Unbehagen in vielerlei Hinsicht. Mein Einwand war mehr ein Versuch in konstruktiver Kritik und kein grundsätzlicher Widerspruch gegen euer aufgeworfenes Problem.