Von Clelia Minnetian, Frederik Metje, Janosik Herder & Verena Häseler
Panel 3: Grenzgänge des Politischen
Das dritte Panel beginnt leider mit der Ankündigung, dass Leonie Tuitjer krankheitsbedingt ausfällt, sodass sich nur zwei Beiträge des Grenzganges des Politischen annehmen. Die erste Grenze ist jene, die sich in den letzten Jahrzehnten zwischen politischer Wissenschaft und Didaktik etabliert hat und von Werner Friedrichs überschritten wird. Dieser macht zwei Varianten aus, in denen das Politische in der Politischen Bildung zum Tragen kommen kann: Als Lerngegenstand befindet sich das Politische gegenwärtig im Verschwinden, so versucht die Politische Bildung der derzeitigen Politikverdrossenheit durch mehr oder abstraktes Wissen zu begegnen. Gegen diese Tendenz bringt Friedrichs drei Thesen vor, die die Politische Bildung durch die ihr unbekannte Debatte um das Politische rekonzipieren sollen: Das Politische könne als Artikulationsraum, als Unentscheidbarkeit (gegen den Zwang zum Urteil) und als Unterbrechung in der Bildungspraxis wirken.
Mareike Gebhardt überschreitet im Anschluss eine andere Grenze – die der institutionell eng geführten Politiken – mit Hilfe des Spuks des Politischen. In Rekapitulation der Dissoziationskonzepte von Butler, Rancière und Lorey diagnostiziert sie diesen spezifische Dekonstruktionsweisen im Präsens. Auf dieser Grundlage fragt sie mit Derrida, wie eine dekonstruktive Politiktheorie eine nicht relativistische Position zu den gegenwärtigen Ethnonationalismen entwickeln könne. Die Antwort einer demokratischen Politik liegt für Gebhardt im Futur II, das zukunftsgerichtet in der Gegenwart Spuren hinterlasse, sich dieser aber zugleich entziehe. Als Kollisionspunkt von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft ermögliche das Futur II eine ethnonationale Differenz, bekannt beispielsweise aus Angela Merkels „Wir schaffen das“ und in Abgrenzung zur nicht-präsentischen Occupy-Wallstreet Bewegung.
Panel 4: Das widerständige Subjekt des Politischen
Im vierten Panel der Tagung geht es um die widerständige Dimension des Politischen und die Rolle, die Subjekte und Subjektivitäten dabei spielen. In den drei Vorträgen untersuchen die Vortragenden auf unterschiedliche Weisen die Frage, wie das Subjekt des Politischen aussieht und wie es sich konstituiert.
Durch den Beitrag von Aristotelis Agridopoulos beginnt das vierte Panel mit einer interessanten Metaperspektive auf die Politische Theorie. Denn in dem Beitrag geht es nicht direkt um die Theorie von zeitgenössischen Intellektuellen, sondern um deren politische Praxis. Am Beispiel von Chantal Mouffe und Jacques Rancière geht Agridopoulos der Frage nach, wie die theoretischen Überlegungen und die tatsächliche politische Praxis eigentlich zusammenhängen. Weil die Theorien über das Politische auch die Theorie selbst als politisch begreifen, sind gerade diese Autoren häufig politisch engagiert und lassen dieses Engagement auch wieder in die Theorie einfließen. So arbeitet der Beitrag sehr schön heraus, wie Chantal Mouffe die theoretischen Überlegungen zu einem linken Populismus etwa mit der Unterstützung von Pablo Iglesias verknüpft, dem Vorsitzenden von Podemos. Insgesamt zeigen sich in dem Eröffnungsbeitrag der politische Einsatz der Theoretiker*innen und ihr Bemühen, selbst widerständig zu sein.
In dem folgenden Beitrag verbindet Anastasiya Kasko die Frage der Widerständigkeit mit der Frage der (Neu-)Gründung von politischen Gemeinwesen. In dem Vortrag bringt sie die Perspektiven von Rancière und Arendt miteinander ins Gespräch und zeigt, wie sich beide Theorien ergänzend verbinden lassen. Während Rancière mit den Begriffen von Politik und Polizei vor allem das Moment des Dissenses und des Bruchs mit der bestehenden Ordnung theoretisiert, lassen sich mit Arendt Überlegungen zur Neugründung anstellen. Die von Rancière so bezeichnete Aufteilung des Sinnlichen könnte dann in Form einer Neuaufteilung des Sinnlichen gedacht und begrifflich gefasst werden. Dabei ließen sich Arendts Ideen wiederum vor dem Hintergrund des stärkeren Gleichheitsbegriffes von Rancière zuspitzen. In dem Beitrag zeigt sich eindrucksvoll, wie die Frage der Widerständigkeit schließlich zurück zur fundamentalen Frage nach der Gründung und der Zugehörigkeit zu einem politischen Gemeinwesen führt.
Im letzten Vortrag des vierten Panels fragt Manon Westphal danach, wie die radikale Demokratietheorie mit dem Dissens umgeht. Der Vortrag nimmt sich des Problems an, dass in den Theorien des Politischen der Konflikt die Voraussetzung von Politik ist und das Bestehende damit nie das letzte Wort hat. Wie soll aber eine solche Theorie mit dem Faktum umgehen, dass am Grunde der Politik Offenheit und Unbestimmtheit herrschen? Wenn das Politische widerständig ist, wie kann eine Praxis der Vermittlung gefunden werden? Der Vortrag plädiert auf einer Metaebene dafür, dass es eine Diskrepanz zwischen der Theorie und der Praxis der Theorien des Politischen gibt. Anders als im ersten Vortrag des Panels geht es Westphal darum, eine theoretische Grundlage für die Austragung von Dissensen zu entwickeln und damit die soziale Schwerelosigkeit der agonalen Demokratietheorien zu umgehen. Dafür plädiert sie schließlich dafür, bei der Praxis anzufangen.
Vortrag: Robin Celikates: Migration als politische Bewegung? Grenzüberschreitungen im Verhältnis von Politischem und Sozialem
Am Nachmittag widmete sich Robin Celikates in einem Vortrag der wichtigen Frage der politischen Dimension der Migration und politischen Praktiken von Geflüchteten. Dabei geht er vor allem der zentralen Frage nach, welche Aspekte von konstituierender Macht sich in migrantischen Praktiken des zivilen Ungehorsams finden. Zunächst müssten wir dafür, so Celikates, das Konzept des zivilen Ungehorsams politisieren. In der liberalen Theorie ist das Konzept eher der Ausnahmefall der demokratischen Praxis – Celikates plädiert dafür, den zivilen Ungehorsam eher als zutiefst demokratische Praxis zu betrachten, die auf Beteiligung am Gemeinwesen zielt.
Der zivile Ungehorsam leistet, die Ansprüche zuvor vom politischen Geschehen Ausgeschlossener in die Arena des Politischen zu holen. Damit lassen sich Praxen des Ungehorsams als konstituierende Macht verstehen, weil sie neue politische Akteure und Probleme konstituieren. Dabei versucht Celikates, sich von zwei Dingen abzugrenzen: einmal der Rarifizierung des Politischen, wie sie in einigen zeitgenössischen Theorien zu finden ist. Hier sind die „wahre“ Politik und das Auftreten konstituierender Macht eine historische Seltenheit. Andererseits geht es Celikates auch darum, die Akte der konstituierenden Macht nicht zu normalisieren, sondern ihre Außerordentlichkeit beizubehalten.
Im letzten Teil des Vortrages zeigt Celikates deshalb, wie die politischen Praktiken des zivilen Ungehorsams von Geflüchteten diese konstituierenden Momente in drei Hinsichten hervorbringen. Erstens beschreibt er auf der Ebene der Akteure so genannte acts of citizenship. Das Besondere ist allerdings, dass sie im Fall von Geflüchteten eben von denen unternommen werden, die (noch) keine Bürger*innen sind, die Citizenship wird in den Praktiken also performativ hergestellt und ist nicht an den Bürgerschaftsstatus gebunden. Zweitens können wir auf der Ebene der Praktiken sehen, dass es sich nicht nur um defensive oder reaktive Ansprüche handelt, sondern auch aktive Appelle und Formen der direct action gefunden werden können. Schließlich können wir auf der Ebene der Ziele sehen, dass es bei den Praktiken nicht allein um humanitäre oder eigennützige Forderungen geht, sondern tatsächlich um das Politische. Über diese drei Momente lässt sich schließlich zeigen, dass der zivile Ungehorsam konstituierende Macht beinhaltet.
Podiumsdiskussion: Das Politische (in) der Politischen Theorie mit Alex Demirović, Regina Kreide und Rainer Schmalz-Bruns
Der Begriff, der der Tagung ihren Titel gab und welcher Einfluss auf die derzeitigen Debatten der politischen Theorie und Philosophie hat, ist der des Politischen. Moderiert von Franziska Martinsen widmen sich drei Diskutant*innen diesem aus ihrer jeweiligen theoretischen Perspektive: Das Politische sei ein Begriff, der, wie Rainer Schmalz-Bruns betont, bereits bei Schmitt und Arendt die Debatte bestimmte, eine Debatte, die angesichts gegenwärtiger multipler Zeitdiagnosen beendet schien. Offen, sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen, stellt Schmalz-Bruns den Mehrwert des Konzeptes des Politischen in Frage, welches weder analytisch noch pragmatisch oder emanzipatorisch sein Versprechen einlöse. Ähnlich argumentiert Regina Kreide, die im Politischen eine emanzipatorische Verheißung sieht, die uns aber von den gegenwärtigen Problemen ablenke. An Schmalz-Bruns anschließend, liege in der relativen Positionierung eine zentrale Schwachstelle des Politischen, wie an den Interpretationsproblemen rechtnationaler Politik als emanzipatorisch oder menschenfeindlich deutlich wird. Es ist dieses Argument, welches schließlich vor allem Alex Demirović stark macht, der in der Debatte ein theoretisches Spiel sieht, das die drängenden sozialen und ökologischen Probleme unserer Zeit aus dem Blick verliere, wie er am Beispiel schmelzender Gletscher in der Schweiz und Österreich deutlich macht. Damit verwehrt er sich gegen die relativistische Positionierung und exponiert, dass die Lösungen stets im theoretischen Arbeiten mitzudenken seien. Aus dem Plenum kritisiert dagegen Marcus Llanque, dass gerade der politischen Theorie mit ihrer Behandlung des Politischen und deren inhärenter und letztbegründender Macht gegenwärtig eine Schlüsselrolle zukomme. Dagegen verwehrte sich insbesondere Regina Kreide unter Berufung auf die Unklarheit des Begriffes. Auch Martins Saars vermittelnder Einwurf, dass die Theorien des Politischen einen gemeinsamen Kern hätten, traf auf Widerstand. Dieser Kern bestünde in einer spezifischen Differenz von Konstitution und dem Aufbrechen dieser. Die Debatte tendiere zu Definitionsversuchen des Politischen und stecke angesichts dessen fest, sind sich Kreide und Demirović einig. Alle drei Diskutant*innen schienen darin übereinzustimmen, dass sich, wie Schmalz-Bruns zusammenfasst, mit der Debatte um das Politische keine Bodengewinne gegenüber der empirischen Politikwissenschaft machen lassen.
Keynote Lecture: Oliver Marchart: Das Politische – ein unverzichtbares Konzept der Politischen Theorie und Gesellschaftstheorie
Die Keynote zum Abschluss des zweiten Tages hält Oliver Marchart und verwehrt sich gleich zu Beginn gegen den Tenor der Podiumsdiskussion, bei der Debatte über das Politische gehe es nicht um Politik. Sein Vortrag soll als gegenteiliger Beitrag und zugleich als Kommentar zu den G20-Protesten in Hamburg verstanden werden. Marchart stellt mit seinem Vortrag die Frage, wie demokratische Politik postfundamentalistisch gedacht werden kann. Hierzu beginnt er mit einer Rekapitulation der sozialontologischen Grundlagen, also der Differenz als wesentlichem Moment zwischen der die Welt ordnenden Politik und ihrer Be- und Entgründung durch das Politische. Protest erfülle in diesem Zusammenhang zunächst die Funktion, der Kontingenz (des Sozialen) eine Bresche zu schlagen und damit Antagonismen zu reaktivieren. Demokratisch, so Marchart, werde Protest allerdings nur unter drei Bedingungen: Zunächst müsse die symbolische Instituierung der demokratischen Disposition erhalten bleiben. Protest spielt sich damit vor dem Horizont demokratischer Grundwerte ab, die historisch als Politik instituiert wurden und nicht aufzubrechen sind. Zweiten bedarf es der Hegemoniefähigkeit des Protestes, der Etablierbarkeit des Sag- und Wissbaren. Dabei unterscheidet Marchart zwischen dem nicht-universalisierten, wilden Protest und sich universalisierenden Protesten wie PODEMOS, in welchen die Wildheit verschwindet. Für Marchart ist, drittens, Geschichte als ein Protestkontinuum zu verstehen, in welchem sich latente und manifeste Phasen ablösen, wie er mit den Ergebnissen der Bewegungsforschung belegt. Marchart evaluiert anschließend das radikaldemokratische Potential des Protestes. Er interpretiert den demokratischen Protest als Moment der Selbstgesetzgebung, als Grundrecht, das selbst dem Protest entsprungen sei. Jedoch sei auch ein solch radikales und zugleich offensives Projekt an eine agonistische Demokratietheorie zu binden. Zwei Traditionslinien seien bei der Kanalisierung des Antagonismus einflussreich: eine arendtsch-nietzeanische Interpretation des agons, in denen die Spielregeln selbst nicht zu hinterfragen sind, sowie eine postmarxistische, in denen diese Gegenstand des Konfliktes werden können. Demokratischer Protest kollidiere folglich teils mit dem legalen Gesetz: In demokratischen Protesten sei der Souverän erwacht. Dieser sei in der Aktivierung demokratischer Grundrechte agonal, antagonistisch jedoch gegen die vorherrschende hegemoniale Logik. Entsprechend seien die polizeilichen Vorgehen bei den G20-Protesten als Arretierungsversuche einer hegemonialen Logik, als Fixierung des überschreitenden Protestes zu lesen. Damit seien demokratische Proteste eine Erweiterung von Ordnung durch den Bruch mit diesen.