„Politik ist angewandte Ethik.“ (S.11) Das ist der Satz, den Geuss als Leitmotiv in einer Vielzahl von Diskussionen der aktuellen Politischen Theorie erkennt und den er seiner Streitschrift als Gegenstand der Kritik voranstellt. Da er wie alle guten Sätze mindestens doppeldeutig ist, soll zunächst zwischen zwei Lesarten unterschieden werden.
A: Angewandte Ethik in einer annehmbaren, weil unproblematischen, anodynen Lesart
Die erste der beiden Auffassungen von Angewandter Ethik ist nämlich gar nicht zu kritisieren, sondern wird von Geuss durchaus unterstützt. Ihr Tenor lautet: Menschen bleiben immer in ihren Wertvorstellungen gefangen. Weder lässt sich wertfreie Politik betreiben, noch Politik wertfrei untersuchen (vgl. S.11). Ethik ist allgegenwärtig und lässt sich nicht aus Handlungen tilgen. Insofern ist Politik deshalb tatsächlich angewandte Ethik. Das Problem ist jedoch, dass diese Ethik kein einheitliches, fortdauerndes Ganzes ist. Eigentlich ist der Singular bereits irreführend. Wir besitzen kein „übersichtliches und konsistentes System von Einstellungen, Überzeugungen und Präferenzen“ (S.12). Vieles ist uns egal und über noch viel mehr Geuss-Lesekreis #1: Genug geträumt! weiterlesen