Über die Herrschaft der technologischen Rationalität. Lesekreis zu Herbert Marcuses ‚Einige gesellschaftliche Folgen der modernen Technologie‘

Man kann sich dem Apparat persönlich nicht entziehen, der die Welt mechanisiert und standardisiert hat. Es ist ein rationaler Apparat, der höchste Zweckmäßigkeit mit höchster Bequemlichkeit verbindet, der zeit- und energiesparend ist, der mit Verschwendung aufräumt, indem er alle Mittel dem Zweck anpaßt, Konsequenzen antizipiert und Berechenbarkeit und Sicherheit gewährleistet.“

– Herbert Marcuse

Wir neigen dazu unsere Gegenwart zu überhöhen. Sind wir nicht mit dem Internet, dem personal computer, Google, Facebook, NSA, Cambridge Analytica, Youtube, der universellen Verbreitung von vernetzten Minicomputern als Smartphones, Sensoren, Algorithmen, selbstfahrenden Autos und Sprachassistenten in den Wohnzimmern in eine völlig neue Epoche der technischen Entwicklung eingetreten? Eine Entwicklung, in der sich der Mensch trotz aller Steward Brand-artigen-ökologischen-Cyberutopien endgültig von der Natur entfremdet hat und zu einem technischen, durch und durch medialen Wesen geworden ist? Das Wesen einer neuen Welt, ein Postmensch, ein Cyborg? Halb Mensch halb Maschine, halb Intellekt, halb Algorithmus? Es mag beizeiten überraschen, dass Google noch keine zwanzig Jahre alt ist, Facebook vierzehn, das erste iPhone zehn, die sogenannte algorithmische Filterblase (aka Timeline) erst sieben. Wir scheinen es bei dieser technischen ‚Revolution‘ mit einer Sache neueren Datums zu tun zu haben.

Die einflussreichsten gegenwärtigen Auseinandersetzungen mit den politischen Implikationen von Technik sehen vor allem ihr Potenzial: Paul Mason und die Postoperaisten sehen mit der Informationstechnik endlich den Postkapitalismus heraufziehen, Nick Srnicek und Alex Williams erwarten stellvertretend für viele die automatisierte Zukunft ohne Arbeit, und auch Pessimisten wie Evgeny Morozov kritisieren die bestehende Technik immer im Namen einer besseren Verwendung der Technik.1 Aber was wäre, wenn es in Wirklichkeit kein Über die Herrschaft der technologischen Rationalität. Lesekreis zu Herbert Marcuses ‚Einige gesellschaftliche Folgen der modernen Technologie‘ weiterlesen

Michel Foucault – Was ist Aufklärung? (Lesekreis 2018 – Runde I)

„Wenn henzutage [sic] eine Zeitschrift ihren Lesern eine Frage stellt, so tut sie dies, um sie nach ihrer Ansicht zu einem Thema zu fragen, zu dem jeder bereits seine Meinung hat: man läuft nicht Gefahr groß etwas dazuzulernen. Im 18.Jahrhundert wurde das Publikum vornehmlich zu Problemen befragt, auf die man eben noch keine Antwort hatte. Ob das effizienter war, weiß ich nicht; amüsanter aber war es“ (687)[1].

Mit diesen Worten beginnt ein Beitrag Michel Foucaults aus dem Jahr 1984, dem er einen gewichtigen Titel verlieh und der da heißt: ‚Was ist Aufklärung?‘ (Foucault 1992: 7; 40 f.). Es sei eine unachtsam aufgeworfene Frage, die 200 Jahre zuvor mit einem Text zweiten Ranges diskret in die Geschichte eingetreten sei, mit Immanuel Kants ‚Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?‘. Für Foucault markiert Kants Text ein historisches Ereignis[2], denn die aufgeworfene Frage habe die moderne Philosophie nie losgelassen (687). In diese Geschichte reiht sich auch Foucault ein. Auch er will wissen, „was das für ein Ereignis ist, das man die Aufklärung nennt“ (ebd.). Die folgenden Zeilen sollen sich Foucaults Beitrag widmen. Die ersten drei Abschnitte geben die drei inhaltlichen Teile seines Aufsatzes wieder, womit dessen Struktur aufrecht erhalten bleibt, während sich der letzte Abschnitt mit weiterführenden Fragen an den Text wendet.

I. Das Ereignis und ein Monatsblatt

Welch besserer Ansatzpunkt, um sich der titelnden Frage zu stellen, als die prominenteste Antwort, die bis heute als der zentrale Beitrag zum modernen Mündigkeitsverständnis gilt? Zur Entwicklung seines eigenen Michel Foucault – Was ist Aufklärung? (Lesekreis 2018 – Runde I) weiterlesen

Lesekreis zu D. Eribons ‚Rückkehr nach Reims‘

Die AG organisiert mal wieder einen Lesekreis. Diesmal widmen wir uns wieder einem ganzen Buch und nur einem Autor. Dabei ist das Werk nicht originär politiktheoretisch. Wir wollen uns näher mit Didier Eribons Essay ‚Rückkehr nach Reims‚ beschäftigen. Es wurde dieses Jahr schon sehr ausführlich in diversen Blogs und Feulliteon-Artikel diskutiert (z. B. hier und da und dort). Auch wenn nun Veranstaltungen mit ihm in Frankfurt a. M. oder in Berlin stattfinden und nochmal Aufmerksamkeit erzeugen, hat der ‚Hype‘ um sein Arbeit etwas nachgelesen.

Die beste Zeit also für die AG, mit etwas zeitlichem Abstand das Werk politiktheoretisch zu lesen und zu diskutieren. Was kann aus der Perspektive der Politischen Theorie aus dem soziologischen Text gezogen werden? Welche Ideen, Konzepte und Gedanken lernen wir für politiktheoretische Arbeiten, woran lässt sich anschließen und welche Gedanken kann die politiktheoretische Perspektive beitragen oder gar neu herausfordern?

Wir werden uns dem Text in drei Abschnitten annähern. Wer mitlesen und -diskutieren will, dem können folgende Daten als Orientierung dienen. Bis 23.11.2016 wollen wir die ersten beiden Teile lesen und anschließend diskutieren. Danach lesen wir bis 14.12.2016 die Teile III & IV, um im neuen Jahr (bis 11.01.2017) den Leseprozess abzuschließen und den letzten Teil+Epilog gelesen zu haben. Ob und in welcher Form wir ggf. unsere jeweiligen Diskussionen zum Buch hier auf den Blog stellen, ist noch offen. Wer also teilnehmen will oder noch Fragen zum Lesekreis hat, schreibe uns einfach eine Mail an: post [ät] ag politische theorie . de

Wir freuen uns auf die Lektüre und spannende Diskussionen!

Jaques Lacan: Das Unbewusste und die Tropen

„The Instance of the Letter in the Unconscious or Reason Since Freud“ beginnt mit einem Argument, das einem vielleicht bekannt vorkommt, auch wenn man, wie ich, bislang noch keine Begegnung mit Jaques Lacans Schriften hatte. Das Argument nämlich, das Unbewusste sei wie eine Sprache strukturiert. Der Titel des Aufsatzes ist im Übrigen englisch, da die Textgrundlage auf englisch ist. Der deutsche Titel des Aufsatzes lautet „Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten oder die Vernunft seit Freud“ der französische Titel lautet L’instance de la lettre dans l’inconscient ou la raison depuis Freud. Ich habe mich für diesen Beitrag für die englische Neuübersetzung von Bruce Fink entschieden, da die deutsche Übersetzung aus den 70ern stammt und größtenteils vergriffen ist. Aktuell bereitet Hans-Dieter Gondek eine deutsche Neuübersetzung vor, von der der erste Band dieses Jahr bei Turia + Kant erscheinen soll.

Das grundlegende Argument also gleich zu Beginn. Sprache, so Lacan, sei das zentrale Instrument der psychoanalytischen Praxis – Sprache müsse also auch einen zentralen Stellenwert in der Jaques Lacan: Das Unbewusste und die Tropen weiterlesen

Offener Lesekreis 2016: Althusser, Lacan, Blumenberg, Bargetz/Sauer

Die AG Politische Theorie startet demnächst in eine neue Runde des Lesekreises. Dafür wurde dieses Mal ein offenes Format mit vier Sitzungen gewählt:

 

16.04.2016

Louis Althusser: Ideologie und ideologische Staatsapparate

 
30.04.2016
Jaques Lacan: The Instance of the Letter in the Unconscious

 

14.05.2016
Hans Blumenberg: Präfiguration

 

28.05.2016
Bargetz/Sauer: Politik, Emotionen und die Transformation des Politischen. Eine feministisch-machtkritische Perspektive

 

Wie üblich wird es einen Input mit folgender Diskussion auf dem Blog geben. Erstmalig wird dieses bewährte Format mit einer Telefonkonferenz in der jeweils folgenden Woche ergänzt. Auch auf dem nächsten AG-Workshop in Bremen am 13./14. Mai wird es die Möglichkeit geben, die Texte zu diskutieren.

Interessierte Mitleser*innen können sich gerne bei der AG melden, um Zugang zu den Texten und der Telefonkonferenz zu erhalten.