Politische Theorie oder politische Theorie? (Teil I)

Von Clelia Minnetian, Frederik Metje, Janosik Herder & Verena Häseler

Einleitend zum Politischen (in) der Politischen Theorie

Die DVPW-Sektionstagung Das Politische (in) der Politischen Theorie vom 27. bis 29.09.2017 in Hannover wurde von den drei Organisator*innen Franziska Martinsen, Oliver Flügel-Martinsen und Martin Saar veranstaltet. Einleitend führt Oliver Flügel-Martinsen einige zentrale Dimensionen des Politischen aus, mit denen er das Thema der Tagung grob umreißt: (1) Das Politische als Umgestaltung, als Emanzipatorisches und Subversives. (2) Das Politische als Dimension, die über Institutionen und die institutionalisierte Politik hinausgeht und dabei etwas Fließendes, Bewegliches, Dynamisches ist. (3) Von einer Perspektive des Politischen aus über Politik nachdenken – von einem Verständnis der Gesellschaft ausgehend, dass sie unabschließbar und immer wandelbar ist. (4) Das Politische als etwas, das beschreibt, wie Diskurse auf Institutionen und Subjekte wirken und diese dadurch konstituiert werden. (5) Politische Theorie mit dieser Perspektive anders zu verstehen und damit eine kritische Betrachtung vornehmlich empirischen und inkrementellen sowie normbegründenden Modellen entgegenzusetzen. (6) Mit einem solchen Fokus zeitdiagnostisch vorzugehen und damit die Gegenwart (etwa hinsichtlich Rechtsradikalismus) in den Blick zu nehmen, die momentan durch eine auf Verständigung orientierte Politik geprägt ist.

Bereits diese einführenden Worte machen deutlich, dass die Tagung aus einer Perspektive formuliert wurde, die Politische Theorie potentiell als kritische Wissenschaft versteht. Gerade angesichts der gegenwärtigen politischen Entwicklungen bot die Tagung Raum zur Politische Theorie oder politische Theorie? (Teil I) weiterlesen

Subjektivierungsforschung quo vadis? Auf holprigen Wegen zwischen Kollektiv und Individuum

Tagungsbericht zu: Jenseits der Person. Die Subjektivierung kollektiver Subjekte, 06.-08. April in Leipzig

Von Frederik Metje, Clelia Minnetian, Daniel Staemmler und Ferdinand Stenglein

 

Unter dem Stichwort Jenseits der Person hatten Thomas Alkemeyer (Oldenburg), Martin Saar (Leipzig), Ulrich Bröckling und Tobias Peter (beide Freiburg) nach Leipzig geladen, um dort die Frage nach der Konstitution und Organisation von Kollektiven aus der Perspektive der Subjektivierungsforschung zu stellen.

Das Panorama der drei Tage bildete neben den Räumlichkeiten der Biblioteca Albertina eine grundlegende Feststellung: Untersuchungen von Subjektivierungsweisen mögen mittlerweile zwar fest zur sozialwissenschaftlichen Forschungslandschaft gehören, jedoch begrenzen sie sich oftmals auf Individuen. Demgegenüber erscheinen aber gerade Organisationen, Netzwerke und Gemeinschaften als Subjektivierungsmotoren entlang der Imperative von Teambildung und Kooperation sowie der Pluralisierung von Selbstentwürfen. Sie geben Anlass, den Blick nicht nur auf die Subjektivierung in, sondern ebenso von Kollektiven zu richten.

Zur Begrüßung gaben Ulrich Bröckling und Frank Alkemeyer jeweils einige subjektivierungs- bzw. Subjektivierungsforschung quo vadis? Auf holprigen Wegen zwischen Kollektiv und Individuum weiterlesen

Lefort: Die Frage der Demokratie

Der aktuelle Lesekreis der AG Politische Theorie zum Werk von Claude Lefort hat bereits einige Diskussionspunkte und Fragen aufgeworfen. Mit ‚Die Frage der Demokratie’ kommen wir nun zu einem weitaus prägnanteren und darüber hinaus oft zitierten Beitrag des französischen Philosophen. Eingangs möchte ich kurz auf den Methodenaspekt eingehen, der von Stefan bereits in der letzten Diskussion eingebracht wurde. Denn das unablässige Argumentieren Leforts gegen bestimmte Konzepte, welche dann als Negativfolien zur Entwicklung der eigenen Argumentation dienen, kann in diesem Fall zur Strukturierung des Textes herangezogen werden. Dabei zeigt sich eine gewisse Nähe zu den Arbeiten von Chantal Mouffe, die sich wiederum bereits in ihrem Hauptwerk auf Lefort bezogen hatte (Laclau/Mouffe 1991: 231f). Leforts – etwas großspurig klingendes – Anliegen einer „Wiederherstellung der politischen Philosophie“ (Lefort 1990b: 281) verfährt demnach in fünf Schritten, die im folgenden nachvollzogen werden. Lefort: Die Frage der Demokratie weiterlesen

Zur Debatte: Das Politische der Gegenwartsliteratur

Über das kritische Potential der Gegenwartsliteratur wird zur Zeit vielerorts diskutiert. So widmet die analyse & kritik sich dem Thema der ‚Ästhetik des Widerspruchs – Über Literatur im Kapitalismus’, während der britische Autor Tom McCarthy im Guardian gleich über den Tod des (kritischen) Schreibens sinniert. Ingar Solty und Enno Stahl veranstalteten in Zusammenarbeit mit der Rosa Luxemburg Stiftung gleich eine Literaturtagung zum Thema ‚Richtige Literatur im Falschen?’: Angesichts der krisenhaften Entwicklungen mit globaler Reichweite, die im Spannungsfeld von Demokratie und kapitalistischer Wirtschaftsordnung verhandelt werden, diskutierten dort renommierte Schriftsteller_innen wie Kathrin Röggla, Raul, Zelik, Ann Cotten oder Thomas Meinecke über (neue) Möglichkeiten der Kapitalismus- und Systemkritik im literarischen Schreiben.

Die Antworten auf die schwierige Fragestellung fielen allerdings hochgradig ernüchternd aus. Katja Kullmann zu Folge sei bei weitem kein Manifest verfasst worden. Stattdessen seien die zwei Tage „mit Zweifeln, Selbst-, Fremd- und Gesamtzweifeln” gefüllt gewesen. Schließlich bewegen sich die Autor_innen stets in jenen gesellschaftlichen Strukturen, die zu kritisieren wären, was die Möglichkeit souveräner Kritik unterläuft. Dies gilt weiterhin für Verlage, Redaktionen, Rezensierende und Lesende. Denn wie Wolfgang Frömberg richtig bemerkt: „Auf dem Weg zum richtigen Schreiben im Falschen liegt als erste Aufgabe vermutlich die eigene Lektüre der richtigen Texte im falschen Diskurs“. Eben dieser Diskurs überlässt die öffentliche Wahrnehmung kritischer Gegenwartsliteratur nicht dem Zufall. Und davon ist die auch Perspektive, die innerhalb dieses Beitrags eingenommen wird, nicht befreit.

Was jedoch auf den ersten Blick an die letztjährige Kritik Florian Kesslers an der jungen Literaturszene erinnert, welche sich zu bürgerlich, brav und selbstreferentiell gäbe, wird letztlich von neueren Veröffentlichungen kontrastiert, die mit dem Label des social turn gefasst werden können. In Werken wie Clemens Meyers ‚Im Stein’, Verena Günters Debut ‚Es bringen’ oder dem Band ‚Randgruppenmitglied’ von Frédéric Valin geraten marginalisierte und prekäre soziale Verhältnisse in den Vordergrund. Über die Nennung und Einordnung dieser Veröffentlichungen kann im Detail wiederum gestritten werden. Ebenso wären mit Blick auf vergangene deutsche wie internationale Publikationen sicherlich einige weitere hinzuzufügen.

Die Existenz dieser und weiterer Veröffentlichungen allein vermag allerdings kein Allheilmittel für die grassierenden Zweifel angesichts der Möglichkeiten einer literarischen Kritik am Kapitalismus zu sein. Viel mehr verlagert sie die Problemstellung über den Einwand Kesslers und den social turn hinaus. Was es gegenwärtig bedarf, scheint eine politische Populärliteratur zu sein: Kritische Werke, „die sich nicht auf stilistische Virtuosität konzentrieren, sondern auf ihre Erkundungs- und ihre Übersetzungsqualität”. Ohne das Plädoyer Elke Brüns für eine literarische Auseinandersetzung mit sozialen Verhältnissen entkräften zu wollen, könnte es gerade die politische Wendung dieser Auseinandersetzungen sein, die kritisch-emanzipatorisches Potential bietet.

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Demokratie (Teil VI) – Rancière: Demokratien gegen Demokratie

Defizite heutiger Demokratievorstellungen

Für Rancière beschränkt sich Demokratie weder auf eine Form des Regierens noch beschreibt sie ausschließlich eine Art und Weise des Zusammenlebens. Da sich heute praktisch jeder Staat als Demokratie versteht, verbindet Rancière eine grundlegende Krise mit dem Begriff. Für Rancière stellen sich nämlich heutige „Demokratien“ gegen die Ideen der Demokratie selbst. Staaten sind demnach nur nach Außen scheinbar demokratisch, nach Innen soll möglichst kein Einfluss auf Entscheidungen seitens der Bevölkerung geltend gemacht werden können. Als Beispiel führt er die Reaktion auf das französische „Nein“ zur Verfassung der EU an. Hier hätten PolitikerInnen die BürgerInnen entmündigt, indem der Vertrag trotzdem später ohne nochmalige Befragung übernommen wurde. Demokratie werde damit ad absurdem geführt, da nun die eigentlichen DemokratInnen (das Volk) zum Feind der Demokratie erklärt wurden. Demokratie (Teil VI) – Rancière: Demokratien gegen Demokratie weiterlesen