Zur Debatte: Eine Politische Theorie der Steuer?

Der folgende Beitrag will eine Debatte über die Frage anstoßen, inwieweit das Thema Steuern/Besteuerung Gegenstand einer bzw. der Politischen Theorie sein kann oder sogar sollte. Steuern sind meiner Wahrnehmung nach vorwiegend beliebtes Thema der Juristen (Steuerrecht), der Wirtschaftswissenschaft (Steuerschätzung, Erforschung der ökonomischen Folgen von [zu hohen] Steuern] und teils auch der eher empirischen Politikwissenschaft (Vergleiche von nationalen Steuerpolitiken). Ich kenne kein einziges Buch aus dem Bereich der Politischen Theorie, das sich (vorrangig) mit Steuern befasst und auch in Seminaren meines entsprechenden Lehrstuhls ist mir dieses Thema, das ja auch eine hohe alltagsrelevante Bedeutung hat, nie begegnet. Literaturhinweise, die dieser Wahrnehmung widersprächen, können gerne in Kommentaren gepostet werden.

Diese Ignoranz der Steuern als Gegenstand der Politischen Theorie erscheint unlogisch, denn im Gegensatz zu Steuern ist der Gegenstand Staat sehr präsent in Diskursen der Politischen Theoretiker, z. B. bei der Frage des guten oder gerechten Staates oder der Frage nach den Aufgaben eines Staates. Doch die Frage, wie sollte sich ein (demokratischer oder sozialistischer) Staat finanzieren, also wie soll er seine politisch bestimmten Aufgaben bezahlen, scheint die Theoretiker nicht so zu interessieren.

Dieser polit-theoretischen vernachlässigten Frage will ich mich im Folgenden skizzenhaft wenden und dabei zum Weiterdenken und Diskutieren einladen. Dabei gehe ich in folgenden Schritten vor: Zunächst definiere ich, was Steuern überhaupt sind und wie sie typologisch unterteilt werden können. Dann zeige ich, wie sich das Steueraufkommen in Deutschland – aufgeteilt nach Steuerart – verteilt, und betrachte anschließend, die wichtigsten Steuerarten und ihre politisch-sozialen Implikationen. Abschließend äußere ich Gedanken zu einem marxistischen, ökologischen Prämissen gerecht werdenden Steuersystem.

  1. Was sind Steuern? Definition und Typologie

Nach Wikipedia sind Steuern „eine Geldleistung ohne Anspruch auf eine individuelle Gegenleistung […], die ein öffentlich-rechtliches Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen steuerpflichtigen Personen auferlegt.“ Es seien öffentlich-rechtliche Abgaben, die im Gegensatz zu Gebühren (z. B. für die Müllabfuhr) und Beiträgen (z. B. für Sozialversicherungen) nicht aufgabenbezogen und zweckgebunden verwendet werden. Bei Adam finden wir eine sehr knappe Definition: „Die Steuer ist eine Zwangsabgabe ohne Anspruch auf Gegenleistung“ (Adam 2013: 22).

Heutzutage funktioniert kein Staat ohne Steuern, denn diese sind die wichtigste Einnahmequelle jedes Staates. Das ist nicht erst heute so, auch in der Antike wurden durch verschiedene Formen von Steuern (Tribute besiegter Stämme, Zölle, der Zehnt) die damals noch übersichtlichen Staatsaufgaben bezahlt. Eine theoretisch interessante Frage ist aber, ob es einer Zwangsabgabe wie der Steuer bedarf, um ein Gemeinwesen zu finanzieren, oder ob es weniger freiheitseinschränkende Finanzierungsmöglichkeiten gibt. Im Griechenland der Antike z. B. war es üblich, dass „Steuern“ ohne Zwang, d. h. freiwillig von den Vermögenden gezahlt wurden (vgl. Adam 2013: 19f.). Um es gleich zu sagen: Ich sehe momentan keine Alternative zur zwangsweisen Eintreibung der Mittel, die für die heute umfangreichen staatlichen Aufgaben notwendig sind. Die Menschen würden vielleicht auch heute in gewissen Rahmen freiwillig Geld für Bildung, Soziales, Verkehrsinfrastruktur oder den Unterhalt einer Armee (?) geben, doch es gibt sehr viele (vermögende, aber auch arme) Menschen, die so gut wie kein Geld freiwillig an einen (von ihnen verhassten?) Staat abgeben würden. Doch diese Frage der Zwangsabgabe ist für radikal-liberale und libertäre Diskurse sicher nicht so eindeutig beantwortet, so wie auch die Notwendigkeit eines Staates in bestimmten Kreisen nicht klar gesehen und hinterfragt wird.

Adam Smith hat 1776 vier Grundsätze der Besteuerung aufgestellt, die in modifizierter Form auch heute noch gültig sind: Gerechtigkeit, Ergiebigkeit, Unmerklichkeit und Praktikabilität. Für die Politische Theorie scheint mir v. a. der Grundsatz der Steuergerechtigkeit von Interesse. Welche Art und Höhe von Steuern ist gerecht? – das ist eine hoch politische und wohl auch philosophische Frage, die in diesem Rahmen nicht diskutiert werden kann. Wikipedia erläutert hierzu: Da es sich bei Steuern um Eingriffe des Staates in das Eigentum bzw. das (Geld-)Vermögen seiner Bürger handelt [Anm.: Steuern setzen also das Vorhandensein von Privateigentum oder Eigentum im Allgemeinen voraus, was theoretisch selbst problematisiert werden könnte], bedarf die Steuererhebung eines Gesetzesvorbehalts (keine Steuer ohne Steuergesetz; nach einem alten Protestmotto: „no taxation without representation“). Die zweite Voraussetzung der Steuererhebung sei die „Besteuerungsgleichheit der Betroffenen“, d. h., bei gleicher Leistungsfähigkeit muss auch gleich besteuert (horizontale Steuergerechtigkeit) und Steuerpflichtige mit ungleicher Leistungsfähigkeit müssen auch unterschiedlich besteuert werden (vertikale Steuergerechtigkeit).

Typologie der Steuern

Steuern können nach unterschiedlichen Kriterien katalogisiert werden. Eine Typologie unterteilt sie in Verkehrssteuern, die auf die Teilnahme am Rechts- und Wirtschaftsverkehr erhoben werden (in Deutschland z. B. Umsatzsteuer, Versicherungsteuer u. a.), in Verbrauchsteuern, die auf den Verbrauch von Gütern erhoben werden (z. B. Mineralölsteuer, Stromsteuer, Tabaksteuer), und in Besitzsteuern, die sich unterteilen in Ertragsteuern, die auf einen Vermögenszuwachs erhoben werden (z. B. Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer) und Substanzsteuern, die auf das Innehaben von Vermögensgegenständen erhoben werden (z. B. Grundsteuer, Vermögensteuer).

Nach einer anderen Typologie werden Steuern in Bundes-, Länder-, Gemeinde- und Gemeinschaftssteuern eingeteilt, je nach der Gebietskörperschaft, der die Steuereinnahmen zufallen. Bei Gemeinschaftssteuern, z. B. Umsatz- und Einkommenssteuern werden die Steuern unter allen drei Ebenen nach einem politisch bestimmten Schlüssel verteilt.

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Belastung wird unterschieden zwischen direkten und indirekten Steuern. Während bei direkten Steuern Steuerschuldner und Steuerträger identisch sind (z. B. bei der Einkommenssteuer), wird die wirtschaftliche Steuerlast bei indirekten Steuern (z. B. der Umsatzsteuer) vom Steuerschuldner auf den Steuerträger übergewälzt. Steuerschuldner ist also die Person, die die den gesetzlichen Tatbestand der Steuerpflicht verwirklicht, und Steuerträger die Person, die die Steuer an den Fiskus zahlen muss.

 

  1. Steueraufkommen in Deutschland

Nun will ich darstellen, wie viel Steuern der Staat überhaupt einnimmt und welche Steuerarten besonders ertragsreich sind. Zunächst ein Blick auf die historische Entwicklung des Steueraufkommens in absoluten Zahlen (weniger aussagekräftig) und in Prozent des BIP (die sog. Steuerquote).

Quelle: Adam 2013: 41.

Im Jahr 2010 hat der Fiskus also insgesamt über 600 Mrd. Euro eingenommen, seit 1950 ist ein fast ununterbrochener Anstieg der Steuereinnahmen feststellbar. Die Steuerquote, die den Anteil des Steueraufkommens an der wirtschaftlichen Gesamtleistung (ausgedrückt im BIP) misst, ist dagegen überraschend relativ konstant und schwankte zwischen 1950 und heute immer zwischen 20 und 24 Prozent, wobei wir heute bei etwa 23 Prozent angelangt sind. Die Anteile der unterschiedlichen Steuerarten im Steueraufkommen der BRD sehen folgendermaßen aus (Zahlen für 2012):

Steuerarten Mio. € in %
Gemeinschaftssteuern 426.190 71,0
davon Umsatzsteuer 194.635 32,4
davon Lohnsteuer 149.065 24,8
Bundessteuern 99.794 16,6
davon Energiesteuer 39.305 6,5
davon Tabaksteuer 14.143 2,4
Ländersteuern 14.201 2,4
davon Grunderwerbsteuer 7.389 1,2
davon Erbschaftssteuer 4.305 0,7
Gemeindesteuern 55.636 9,3
davon Gewerbesteuer 42.700 7,1
davon Grundsteuer 11.890 2,0
Zölle 4.462 0,7
Steuereinnahmen insgesamt 600.284 100,0

Quelle: Adam 2013, S. 54

 

Demnach gibt es vier besonders wichtige, weil ertragsreiche Steuern: die Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer), die Einkommenssteuer, die Energiesteuer und die Gewerbesteuer, die die wichtigste Einnahmequelle der Gemeinden sind. Diese vier Steuern zusammen machen 70,8 % des Steueraufkommens aus. Keine solch hohe Bedeutung (für die Größe des Steueraufkommens!) haben die Vermögens-, Erbschafts- und Schenkungssteuer. Wie diese verschiedenen Steuerarten funktionieren und welche Auswirkungen auf die von ihnen Betroffenen sie jeweils haben, soll im Folgenden betrachtet werden.

2.1 Die Umsatzsteuer

Die Umsatzsteuer kennen wir vom Einkaufen: Sie ist eine Steuer auf den Umsatz eines Unternehmens und vom Unternehmer zu entrichten, wird aber über die Preisbildung auf den Kunden überwälzt. Dadurch zählt sie zu den indirekten Steuern. Es gibt einen normalen Mehrwertsteuersatz von 19 %, der auf den Kauf der meisten Waren zu entrichten ist, und einen ermäßigten Steuersatz von 7 %, der aus sozialen Gründen auf Lebensmittel, Bücher, Zeitungen usw. erhöben wird. 1968 betrugen diese Steuersätze übrigens noch 10 und 15 %. Die Umsatzsteuer wird unabhängig von der Leistungsfähigkeit der Konsumenten erhoben, d. h., es ist egal ob ein Millionär oder ein Obdachloser einen Kasten Bier kauft, er muss 7 % Umsatzsteuer mit dem Preis bezahlen. Die Umsatzsteuer ist daher eine regressive Steuer, die die ärmeren Haushalte höher belastet als die reicheren (siehe Schaubild), auch wenn in absoluten Zahlen die Reichen natürlich mehr Umsatzsteuer bezahlen als die Armen. Menschen mit einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen von 888 Euro (das 1. Dezil der Einkommensverteilung in Deutschland) müssen 15,1 % ihres Einkommens für die Umsatzsteuer aufbringen, bei den Menschen im zehnten Dezil mit einem Einkommen von 9.913 Euro nur 6,6 Prozent. Der Anteil der von diesem Dezil gezahlten Umsatzsteuern am Gesamtaufkommen an Umsatzsteuer beträgt 18,6 %, der Anteil der oberen 5 Dezile 67,9 Prozent (vgl. Adam 2013: 131).

grafik 133_Belastung mit indirekten Steuern

Quelle: Adam (2013): 133.

2.2 Einkommenssteuer

Die Einkommenssteuer ist (in Deutschland) eine Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip, d. h., wer mehr Einkommen hat, muss einen größeren Anteil dieses Einkommens versteuern und an den Staat abführen. Das Einkommenssteuerrecht ist höchst komplex, vereinfacht gesagt wird sie auf das Jahreseinkommen der Arbeitnehmer und Mitunternehmer von Personengesellschaften (z. B. Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), Kommanditgesellschaft (KG)) erhoben. Dabei gibt einen Grundfreibetrag (8.354 Euro), der vom Jahreseinkommen abgezogen und nicht besteuert wird. Danach wird das Einkommen stufenweise immer höher besteuert (siehe auch Wikipedia). Es ergeben sich folgende Durchschnittssteuersätze für ein Ehepaar (Singles haben andere Steuersätze):

Grafik 128_Durchschnittssteuersätze

Quelle: Adam 2013: 128.

Dadurch sind der Anteil des obersten Dezils am Einkommenssteueraufkommen mit 54 % und der Anteil der oberen fünf Dezile mit 94 Prozent sehr hoch. Von den 2012 in Deutschland erhobenen 149 Mrd. Euro Einkommenssteuer zahlen die oberen fünf Dezile also 140 Mrd., die unteren fünf Dezile nur 9 Mrd. Euro Einkommenssteuer.

2.3 Energiesteuer

Die Energiesteuer wird auf den Verbrauch von Mineralölen, Mineralölerzeugnissen, deren Mischungen und Erdgas erhoben. Alle Bürger müssen sie unabhängig von ihrem Einkommen in gleicher Höhe bezahlen und ähneln damit der Umsatzsteuer. Bei der Besteuerung wird versucht, ökologischen Kriterien gerecht zu werden, daher gelten folgende Steuersätze (ohne die darauf zu schlagende Umsatzsteuer):

  • Benzin: 65,45 ct/l (etwa 7,3 ct/kWh)
  • Diesel bzw. Gasöl: 47,04 ct/l (etwa 4,7 ct/kWh)
  • unvermischtes Flüssiggas (LPG) als Kraftstoff: 16,6 ct/kg (etwa 8,96 ct/l, oder 1,29 ct/kWh)
  • Erdgas (CNG) als Kraftstoff: 18,03 ct/kg (etwa 1,39 ct/kWh)
  • Schweres Heizöl: 13,00 ct/kg (etwa 1,19 ct/kWh)

Bei Verwendung des Energieträgers zur Erzeugung von elektrischem Strom oder Strom und Wärme (Stand 2006) gelten folgende Steuersätze, jeweils ohne Umsatzsteuer:

  • Heizöl: (0,21 … 0,62) ct/kWh
  • Erdgas: 0,55 ct/kWh
  • Flüssiggas: 0,43 ct/kWh
  • Kohle: 0,12 ct/kWh

2.4 Gewerbesteuer

Die Gewerbesteuer ist die Haupteinnahmequelle der Kommunen. Der Gewerbesteuer unterliegt jeder Gewerbebetrieb, der im Inland betrieben wird. Besteuerungsgrundlage ist der Gewerbeertrag, also der um bestimmte Finanzpositionen auf- bzw. abgewertete Gewinn eines Betriebs. Diese Steuer ist sehr stark konjunkturabhängig und trägt aufgrund der unterschiedlichen Ausstattung der Gemeinden mit großen Betrieben zu einer erheblichen Ungleichheit zwischen den Gemeinden bei. In einem Dorf mit nur einer großen Fabrik kann deren Insolvenz oder ein Jahr mit Verlusten die kommunale Finanzausstattung erheblich beeinflussen.

2.5 Vermögens-, Erbschafts- und Schenkungssteuer

Vermögenssteuern gab es schon in der Antike und waren im Mittelalter im Gebiet des heutigen Deutschlands die vorherrschende Form der Besteuerung. Die Vermögenssteuer ist eine Substanzsteuer, die vom Wert des Nettovermögens (Bruttovermögen abzüglich Schulden) des Steuerpflichtigen (natürliche oder juristische Person) berechnet wurde, das zu einem bestimmten Stichtag vorhanden war. Sie gehörte zu den Steuern, die allein den Ländern zustand. Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von 1995 wird sie in Deutschland nicht mehr erhoben, weil den herrschenden Politikern es zu kompliziert war, eine verfassungskonforme Vermögensbesteuerung auf den Weg zu bringen. Das BVerfG monierte, dass eine unterschiedliche steuerliche Belastung von Grundbesitz und sonstigem Vermögen mit Vermögensteuer nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar sei.

Wenn die Vermögenssteuer mit gewissen Freibeträgen (DIE LINKE forderte 2010 bei einem Freibetrag von einer Million Euro einen Steuersatz von fünf Prozent) versehen wird, kann sie zu einer wirksamen Begrenzung von privatem Reichtum und der Ungleichheit zwischen Oben und Unten beitragen. Dies könnte ein Grund sein, warum in diesen neoliberalen Zeiten eine solche Steuer von den Herrschenden nicht eingeführt wird.

Ähnlich verhält es sich mit der Erbschaftssteuer, die derzeit noch erhoben wird, aber derzeit vor einer Reform (vgl. süddeutsche.de) steht. Sie ist als Erbanfallsteuer ausgestaltet, sie knüpft also an den konkreten Erwerb des jeweiligen Erben an. Sie fällt auch bei Schenkungen von Vermögen zu Lebzeiten als Schenkungssteuer an. In der deutschen Erbschaftssteuer gibt es Freibeträge, die nicht unter die Steuer fallen, z. B. Hausrat einschließlich Wäsche und Kleidungsstücke bis zu einem Wert von insgesamt 41.000 € oder wissenschaftliche oder künstlerische Sammlungen. Die Erbschaftssteuer macht nur etwa vier Mrd. Euro pro Jahr aus, trotz eines jährlich vererbten Vermögens von etwa 200 Mrd. Euro pro Jahr (vgl. ZEIT ONLINE). Dass nicht mehr Erbschaftssteuer anfällt, dürfte auch an der Verve liegen, die (Familien-)Unternehmer an den Tag legen, um nicht unter diese Steuer zu fallen (vgl. süddeutsche.de). Unter egalitären Gesichtspunkten kann es aber kein Argument sein, Betriebsvermögen zu stark von der Erbschaftssteuer zu befreien, nur weil sonst angeblich Hunderte Familienunternehmen zugrunde gehen.

Die Erbschaftssteuer wird in der nahen Zukunft an Relevanz gewinnen. Denn Piketty (aber auch andere) weist darauf hin, dass sich die Gesellschaft allmählich (u. a. wegen wachsender, ungleich verteilter Privatvermögen und schrumpfender Bevölkerungszahl) wieder in Richtung einer Erbengesellschaft entwickelt (vgl. Piketty 2014: 501-571, v. a. 566). Das bedeutet, große Vermögen werden die Menschen zukünftig vor allem durch Erbschaften (und Zinsen aus Vermögen), nicht durch Arbeit erwerben – so wie es bis zum Ersten Weltkrieg für die kapitalistischen Länder üblich war; die Einkommen aus Arbeit wachsen nicht annähernd so stark und schnell wie Einkommen aus Vermögen. Wobei hier „die Menschen“ Menschen aus der oberen Hälfte der Gesellschaft meint, denn es ist klar, dass Menschen mit geringem Einkommen gar kein Vermögen akkumulieren können, das sie ihren Nachkommen hinterlassen können. Eine Politische Theorie der Steuer könnte oder sollte eine Antwort auf die Frage geben, ob diese Zurückentwicklung zu einer Rentiers- und Erbengesellschaft wünschenswert sein kann und ob bzw. welche Art von Erbschaftssteuer dem Einhalt gebieten kann.

 

  1. Skizze eines marxistisches Steuersystem

Der Marxismus strebt eine Gesellschaft an, in der die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist (vgl. MEW 4 [1848]: S. 482), in der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gleichrangige Werte darstellen. Zugleich kann m. E. ein Marxist heute nicht über die enormen ökologischen Schäden, die der fortgeschrittene Industrialismus und der permanente Wachstumshunger der Ökonomie und der ihr hörigen Regierungen der kapitalistischen Länder angerichtet haben, hinwegsehen.

Diese Prämissen müssen sich in einem marxistischen Steuersystem widerspiegeln. Es sollte egalitär, ökologisch und nicht allzu freiheitseinschränkend sein, im Idealfall soll es die freie und gleiche Entfaltung aller in einer lebensfreundlichen Umwelt ermöglichen. Mit Gorz gehe ich davon aus, dass öffentliche Dienstleistungen im Sozialismus hohe Priorität genießen (vgl. Gorz 1964: 105-107), denn die Menschen erwarten, wenn sie in Ländern wie Deutschland oder Frankreich wohnen, ein qualitativ hohes Bildungs- und Gesundheitssystem, bezahlbare Wohnungen, eine angemessene Verkehrs- und digitale Infrastruktur sowie gute soziale Sicherungssysteme gegen soziale Risiken (Arbeitslosigkeit, Pflegebedürftigkeit, Rente). Wie auch immer der marxistische Staat die Organisation dieser Aufgaben gestalten wird, es ist davon auszugehen, dass zur Finanzierung dieser Aufgaben nicht wesentlich weniger Steuermittel notwendig sind als im heutigen kapitalistischen System – wahrscheinlich eher mehr –, sodass über eine Abschaffung oder Absenkung der heute wichtigsten Steuerarten nicht zu sprechen ist.

Alle Steuern sollten – solange noch gravierende soziale Ungleichheiten bestehen – progressiv gestaltet sein, d. h., wer mehr hat und verdient, soll auch mehr zur Erfüllung der gesellschaftlichen Aufgaben beitragen. Bei der Einkommenssteuer ist daher wenig Grundsätzliches zu verändern. Im Detail ist zu diskutieren, ob diese vereinfacht werden kann, damit es (für kluge Gutverdienende/Steuerberater) nicht mehr so viele Möglichkeiten gibt, Dinge von der Steuer abzusetzen und sich arm zu rechnen. Wichtiger noch ist, die sog. „Kalte Progression“ abzuschaffen und die überdurchschnittlichen Steuersätze für mittlere Einkommen („Mittelstandsbauch“) anzupassen. Bei den Spitzensteuersätzen könnte das Bundestagswahlprogramm der Partei DIE LINKE von 2013 Richtschnur sein: 53 Prozent war der Spitzensteuersatz unter Helmut Kohl, das sollte für ein marxistisches Steuersystem nicht zu hoch sein. Über die von den LINKEN ebenso geforderte Reichensteuer von 75 Prozent für Einkommen über eine Million Euro (vgl. DIE LINKE 2013: 26) lässt sich auch diskutieren, wobei theoretisch zu klären ist, wie viel der Staat maximal von einem Einkommen wegsteuern darf, ohne den Aspekt der individuellen Freiheit zu stark einzuschränken. Unter gesellschaftspolitischen Aspekten erscheint auch die Abschaffung des Ehegattensplittings zugunsten anderer Fördermaßnahmen für Kinder und Familien angeraten, z. B. durch eine vollständige staatliche Übernahme der Kitagebühren.

Die Vermögenssteuer für Millionäre müsste wieder eingeführt werden, wobei die erste Million steuerfrei bleiben kann und darüber hinausgehende Vermögen progressiv zu besteuern wären. Piketty macht den Vorschlag einer globalen Kapitalsteuer, mit Steuersätzen von 0, 1 (ab einer Million bis fünf Millionen Euro), 2 Prozent (über fünf Millionen bis einer Milliarde) und 5 oder 10 Prozent (für Vermögen über eine Milliarde, vgl. Piketty 2014: 698-700).

Auch die Erbschaftssteuer sollte mit progressiven Steuersätzen ausgestaltet werden und aus Gerechtigkeitsgründen Betriebsvermögen nicht mehr so schonen wie bislang. Natürlich wäre es unsinnig Unternehmen durch die Erbschaftssteuer in den Ruin zu treiben, sodass bei entsprechenden Fällen Ratenzahlung oder Stundung zu ermöglichen wäre. Erbschaften sollten als leistungsloses Einkommen nicht schwächer besteuert werden als erarbeitetes Einkommen, wiewohl auch bei Letzterem kritisch zu fragen ist, ob jede Arbeit gesellschaftlich nützlich ist und daher eine höhere Wertschätzung als Einkommen aus Nicht-Arbeit verdient.

Unternehmen sind auf öffentliche Infrastruktur angewiesen und sollten sich an den Kosten für deren Erbringung und Unterhalt mit Körperschaftssteuern beteiligen. Wie im LINKE-Wahlprogramm von 2013 erwähnt, wäre eine Rückkehr zum Satz von 25 Prozent (heute: 15 Prozent) keine allzu gravierende Einschränkung des Unternehmertums, da unter Adenauer und Kohl auch Steuersätze von über 50 Prozent nicht zum Zusammenbruch der sog. Sozialen Marktwirtschaft geführt haben. Wie bei allen hohe Einkommen und Vermögen betreffenden Steuern wäre eine wenigstens europaweit, besser global im Grundsatz gleich hohe Besteuerung wünschenswert, um Fluchtbewegungen des scheuen Rehs Kapital zu minimieren.

Auch die Umsatzsteuer könnte noch progressiver gestaltet werden: So wäre neben dem ermäßigten Satz von 7 Prozent (Lebensmittel, Literatur, Kunst, ÖPNV etc.) und einem normalen Steuersatz von 17 (statt 19) Prozent einen Luxus- oder Öko-Steuersatz von 27 Prozent vorstellbar. Dieser höhere Satz sollte auf alle Konsumgüter angewendet werden, der entweder als Luxus zu betrachten ist (z. B. Schmuck über 50.000 Euro, eine Jacht für über eine Million oder den Privatjets) und/oder als besonders ökologisch schädlich. Welche Konsumgüter darunter fallen, ist mit großer demokratischer Mitbestimmung der Bürger zu entscheiden.

Bei der Energiesteuer sind auch progressive, an ökologischen Aspekten orientierte Tarife zu diskutieren, z. B. eine stärkere Belastung von Atom- und Kohlestrom oder eine Befreiung von Energiesteuer bzw. Stromgebühren für einen Grundverbrauch von 500 kWh.

Grundsätzlich muss die Steuerverwaltung eines marxistischen Systems personell so ausgestaltet sein, dass ein gerechter Steuervollzug möglich ist. Es kann nicht länger sein, dass wegen Personalmangels Betriebe und Vermögende nur alle 10 oder 20 Jahre genauer auf ihre Umsätze und Einkommen geprüft werden. Je besser und gerechter der Steuervollzug, umso geringer ist die steuerliche Belastung für jeden Einzelnen.

Nicht weiter eingehen möchte ich aus Platzgründen auf die Themen Finanztransaktionssteuer oder Sozialversicherungsbeiträge, obwohl gerade Letztere ein wichtiges Thema für die staatliche oder gesellschaftliche Organisation der kollektiven Bedürfnisse unserer Gesellschaft darstellen.

  1. Schluss

Diese Ausführungen sollten die Relevanz des Themas Steuersystem für eine Politische Theorie, die sich um Themen wie Staat und Aufgaben des Staates nicht drückt, hervorheben. Bei der eigenen, nicht besonders tiefgründigen Beschäftigung mit dem Steuersystem ist mir bewusst geworden, warum wohl Politische (Staats-)Theoretiker sich kaum mit diesem unendlich groß erscheinendem Feld beschäftigen: Steuern sind ein sehr komplexes Gebilde und ihre Wirkungen selbst für Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler nicht immer klar vorherzusehen. Ich meine aber, dass dieses Thema diesem Wissenschaftszweig nicht überlassen werden sollte. Politische Theorie sollte sich mit den politischen Implikationen verschiedener Steuersysteme beschäftigen. Es macht doch einen großen Unterschied hinsichtlich der Ausübung von Macht und politischen Partizipation aus, ob die großen Vermögen ordentlich besteuert werden oder sich Multimillionäre dank laxer Besteuerung ihnen hörige Politiker „kaufen“ können (indem sie bspw. mit Standortverlagerungen Politik erpressen). Auch hinsichtlich der ökologischen Zukunft unseres Planeten sollte eine kritische Politische Theorie bedenken, dass Umweltschutz und andere ökopolitische Maßnahmen auch mit einer entsprechenden Besteuerung vollzogen werden können.

Kurz gesagt: Staatszwecke sollten meiner Meinung nach nicht ohne Staatsfinanzierung gedacht werden. Wie detailliert sich eine Politische Theorie um die Feinjustierung des Steuersystems kümmern kann, darüber ließe sich nun streiten. Es wäre ein Streit im Sinne einer praxisorientierten Politischen Theorie.

 

Quellen:

Adam, Hermann (2013): Steuerpolitik in 60 Minuten. Wiesbaden: VS.

Gorz, André (1964): Zur Strategie der Arbeiterbewegung im Neokapitalismus. 4. Aufl. Frankfurt am Main: Europ. Verlags-Anstalt.

DIE LINKE (2013): 100 % sozial. Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013.

Piketty, Thomas (2014): Das Kapital im 21. Jahrhundert. München: C.H. Beck.

http://wirtschaftslexikon.gabler.de/

5 Gedanken zu „Zur Debatte: Eine Politische Theorie der Steuer?“

  1. Vielen Dank für den einleuchtenden Beitrag! Tatsächlich habe ich zuvor nicht sonderlich über eine politische Theorie der Steuer bzw. Besteuerung nachgedacht und finde das Thema spontan jedoch ziemlich interessant.

    Anstelle eines marxistischen Zugriffs kam mir zuerst ein institutionentheoretischer Begriff der Steuer in den Sinn. Mit Gerhard Göhlers der Theorie politischer Institutionen ließe sich die Besteuerung als Teil politischer Steuerung verstehen, welche wiederum über die Willensbeziehung zwischen Bevölkerung und Repräsentation ihre Legitimation erfährt und in ihrer Ausführung beschränkt wird. Als Form der Steuerung ist die Steuer damit zu verstehen als eine zweckbestimmte Regulierung von Handlungsoptionen. Spannend wird diese Perspektive insbesondere, wenn man mit Göhler neben der instrumentellen auch die symbolische Dimension politischer Institutionen in den Blick nimmt. Steuern als solche haben demnach nicht nur ein Moment der Regulierung, sondern auch der Integration im Sinne von Orientierung (wenn auch in einer abstrakten Variante). Im Spannungsfeld zwischen dieser Momente ließe sich dann auch die Problematik der Standortverlagerung von Unternehmen sowie der Androhung dieser aufschlussreich diskutieren.

  2. Hallo,

    danke erstmla für den spannenden Artikel und das ungewöhnliche Thema. Ich geb dir recht, ein mainstream-thema ist das nicht in der PTh.
    Auf’m Theorieblog gab es einen Artikel im Rahmen der Piketty-Diskussion, die sich explizit mit dem Thema ‚Steuern‘ auseinandergesetzt hat. Vielleicht findest du bei dem Autor mehr noch dazu. Artikel siehe: http://www.theorieblog.de/index.php/2014/10/piketty-buchforum-3-wozu-sollen-steuern-dienen/

    Das nur mal kurz. Ich hab noch nicht zu Ende gelesen, daher folgt ein möglicher weiterer Kommentar später 🙂

    VG!

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